Warum ist Achtsamkeit so wichtig für unser Wohlbefinden? Diese Frage spaltet geradezu unsere Gesellschaft. Während die einen von der Achtsamkeitspraxis hellauf begeistert sind, hegen einige andere Bedenken und tun es als esoterischen Schwachsinn ab. Sind diese Bedenken gerecht oder bringt Achtsamkeit tatsächlich etwas?
Um mal einige Vorbehalte zu nennen
- Achtsamkeit ist die Flucht vor der Wirklichkeit
- Achtsamkeit ist aufwendig
- Achtsamkeit ist egoistisch
- Achtsamkeit ist doch das mit dem Rosininen lutschen
- Achtsamkeit ist etwas für esoterische Teebeutelschwinger
- Bei Achtsamkeit geht es darum aufzupassen, damit nichts Schlimmes passiert
- Achtsamkeit ist eine Modeerscheinung
Treffen diese Klischees zu oder nicht? Um das zu beantworten, müssen wir erst einmal verstehen, woher Achtsamkeit kommt und was sich hinter dem Begriff eigentlich verbirgt.
Woher kommt Achtsamkeit
Achtsamkeit oder auch „Mindfullness“ kommt ursprünglich aus dem Buddhismus und hat damit tatsächlich einen religiösen Hintergrund. Jedoch ist die Achtsamkeitspraxis die wir im Westen praktizieren, meist dem MBSR-Programm von Jon Kabat-Zinn zuzuschreiben.
Jon Kabat-Zinn, ein Lehrer an der University of Massachusetts, entwickelte in den 1970er Jahren das MBSR-Programm (Mindfulness-Based Stress Reduction) und kreierte damit das erste medizinische Achtsamkeitstraining, das ohne den religiösen Übberbau auskommt.
Eine der bekanntesten Übungen seines MBSR-Programms ist tatsächlich die Rosinen-Meditation. In dieser Übung geht es darum, eine Rosine mit allen Sinnen wahrzunehmen und diese unter anderem relativ lange im Mund zu behalten, um ihre Konsistenz sowie die Veränderung des Geschmacks wahrzunehmen.
Ich habe es selbst bereits ausprobiert und muss sagen, dass ich diese Übung mit einem Stück Schokolade definitiv bevorzuge 😉
Die Achtsamkeitspraxis ist heutzutage innerhalb der Verhaltenstherapie nicht mehr wegzudenken. Das MBSR-Programm von Jon Kabat-Zinn wird gerne als Mittel zur Stressbewältigung eingesetzt. Selbst Forscher der Harvard University konnten zwischenzeitlich den positiven Effekt von Achtsamkeit nachweisen.
Positive Effekte von Achtsamkeit
Forscher konnten bei Personen, die über einen längeren Zeitraum Achtsamkeitsübungen ausgeführt haben, folgendes beobachten:
- Die Personen waren generell entspannter, zufriedener, aufmerksamer, wacher und weniger gestresst
- Sie wurden selbstbewusster
- Ängste und negative Gedanken ließen nach, während sich die positiven Gedanken verstärkten
- Die Körperwahrnehmung verbesserte sich
- Die Zusammensetzung des Blutes sowie Bereiche im Gehirn veränderten sich
- Es konnte beobachtet werden, dass achtsames meditieren, den Mandelkern (Amygdala) schrumpfen und den Hypocampus wachsen ließ
Positive Auswirkungen der Achtsamkeitspraxis konnte sogar bei folgenden Krankheitsbildern nachgewiesen werden
- Stress und Burnout
- Depression
- physische Störungen und Erkrankungen, wie Angststörungen, Ess-Störungen, Persönlichkeitsstörungen
- Schmerzen
- Hauterkrankungen
- Sucht
Aber wie kann ein einziges Programm bzw. eine Methode einen solchen Einfluss auf uns haben? Hierfür sollten wird uns die acht Grundprinzipien anschauen, um zu verstehen, auf welchen Ebenen Achtsamkeit überhaupt wirkt.
Die acht Prinzipien der Achtsamkeit
Achtsamkeit beruht nach Job Kabat-Zinn auf acht Grundprinzipien.
Werteneutralität
Ist dir eigentlich schon einmal aufgefallen, wie schnell wir dabei sind etwas oder jemanden in eine Schublade zu stecken. Innerhalb von wenigen Sekunden entscheiden wir, ob wir jemanden sympathisch finden oder nicht bzw. ob Gefahr besteht oder nicht.
Unser kleiner Bewertungsmodus ist permanent aktiv. Allerdings bemerken wir das meist gar nicht und nehmen uns so selbst die Möglichkeit, nochmals zu hinterfragen, ob das, was wir uns erzählen, überhaupt stimmt.
Der erste Schritt besteht daher darin, überhaupt zu bemerken, dass wir schon wieder dabei sind zu werten. Wenn wir das schaffen, können wir uns entscheiden, ob wir die Schublade nochmals öffnen wollen oder nicht.
Mit dem Ansatz der Werteneutralität wirst du deine persönliche Drama Queen nicht komplett loswerden, allerdings wird sie ruhiger und mit der Zeit, können wir so die eingefahrenen Bahnen in unserem Gehirn verlassen und neue Wege gestalten.
Anfängergeist
Kannst du dich noch daran erinnern, wie du als Kind auf große Entdeckungsreise gegangen bist. Alles war neu und aufregend. Jeder Moment war einzigartig.
Das ist auch heute noch so, allerdings vergessen wir das leider all zu oft. Aufgrund unserer Erfahrungen, gleicht irgendwann eine Situation der anderen. Zumindest denken wir das. Mit dieser Einstellung läuft allerdings das Leben geradezu an uns vorbei.
Der Anfängergeist geht mit Neugier, Frische, Offenheit, spielerischer Leichtigkeit und Humor einher. Er trägt dazu bei, dass wir unseren Autopiloten verlassen und ermöglicht uns verschiedene Positionen und Sichtweisen einzunehmen. Neben neuen Erfahrungen, eröffnen sich uns dadurch wieder ganz neue Lösungswege.
Geduld
Wenn wir selbst anerkennen können, dass manche Dinge einfach Zeit benötigen, schaffen wir es unseren eigenen Manipulationsversuchen zu entgehen.
Versuchen wir etwas voranzutreiben, dass einfach nicht schneller geht, verschwenden wir nur unnötig Energie.
Geduld ist dabei nicht mit Resignation zu verwechseln. Geduld bedeutet eine beobachtende Position einzunehmen. Wir sind dabei dem Prozess weiterhin offen zugewandt, jedoch bleiben wir dabei emotional ausgeglichen.
Die wahre Geduld fühlt sich dabei komplett stressfrei an. Wir empfinden weder Ärger noch Stumpfheit. Beziehungsweise haben das Bedürfnis uns von etwas abzuwenden/abzulehnen.
„Geduld ist nicht die Fähigkeit zu warten, sondern die Fähigkeit beim Warten gut gelaunt zu bleiben.“
Vertrauen
Im Sinne der Achtsamkeit bedeutet Vertrauen sich wieder mit dem eigenen Körper vertraut zu machen. All zu oft sehen wir unseren eigenen Körper als einen Feind an, wenn er nicht so funktioniert, wie wir es gerne hätten.
Der Satz: „Ich kann jetzt nicht krank werden, ich muss morgen arbeiten.“ – kommt dir sicher bekannt vor.
Selbst wenn wir gewisse Signale bemerken, wie beispielsweise Müdigkeit oder Schmerz, gehen wir meist darüber hinweg. Wir nehmen beispielsweise Kaffee oder andere aufputschende Mittel zu uns, um gegen die Müdigkeit anzukämpfen oder nehmen Tabletten, gegen die Schmerzen. Die Hauptsache ist, wir funktionieren so, wie wir uns es vorstellen bzw. von der Gesellschaft augenscheinlich verlangt wird.
Wir berauben uns mit diesem Verhalten der Möglichkeit gut für uns zu sorgen.
Dabei hast du immer die Wahl, auf deinen Körper zu hören und zu reagieren oder weiterhin die Signale zu ignorieren, bis dies nicht mehr geht.
Akzeptanz
Noch eher als das Thema Geduld, wird Akzeptanz oft mit Resignation gleichgesetzt.
Akzeptanz bedeutet etwas anzuerkennen wie es ist und es stehen zu lassen, wie es sich auf der Faktenebene darstellt. Nicht mehr und nicht weniger. Akzeptanz ist frei von Wertung und Interpretation. Es bedeutet nicht, alles was wir nicht ändern können automatisch gutzuheißen oder damit einverstanden zu sein.
Stell dir mal vor es regnet. An dem Fakt kannst du nichts ändern. Du musst Regen auch nicht plötzlich gut finden. Du entscheidest allerdings, ob du dich darüber ärgerst, weil du dies und das nicht machen kannst oder den Fakt nur kurz realisierst und es gut sein lässt und dich für andere Möglichkeiten öffnest.
Mit dieser Einstellung, können wir unser Leben aktiv gestalten, statt Opfer der Umstände zu sein.
"Whatever you do, don´t get stuck on the one thing that ruins your day.
Smile and be grateful.
Life is to short to waste on negativity!"
Teflon-Geist
Stell dir mal vor dein Geist hätte eine spezielle Beschichtung. Ähnlich der einer Teflon-Pfanne, bei der nichts haften bleibt.
Mit Hilfe dieser Fähigkeit lösen wir uns von gewissen Reizen, statt direkt auf sie zu reagieren. Wir konzentrieren uns auf das Wesentliche und schützen uns so vor der Reizüberflutung.
Viel zu oft springen wir auf alles an, was um uns herum passiert, sodass unser Gehirn kaum noch mit dem Sortieren hinterherkommt. Nachdem wir eine gewisse Neigung zum Grübeln haben, können wir uns relativ schnell ein dramatisches Szenario mit der kompletten Bandbreite an Gefühlen kreieren.
Selbst, wenn das Szenario nur fiktiv ist, reagiert unser Körper wie bei einer tatsächlichen Stresssituation und spult das komplette Stress-Programm ab. Unser Organismus ist nicht fähig zwischen erdachter und echter Bedrohung zu unterscheiden. Das können nur wir, wenn wir dies bewusst wahrnehmen und aus dem Hamsterrad aussteigen.
Loslassen
Während es uns relativ leicht fällt, etwas körperlich loszulassen, gestaltet sich das Ganze schon etwas schwieriger, wenn es um etwas Geistiges geht.
Für uns gibt es offensichtlich mehr Gründe an etwas festzuhalten, statt es loszulassen. Sei es der Streit mit dem Kollegen letzte Woche oder limitierende Glaubenssätze. Wir beißen uns geradezu an diesen Gedanken fest. Aber sind sie es wirklich wert, dass wir unsere Energie darauf verschwenden? Wollen wir mehr in der Vergangenheit leben, statt im Hier und Jetzt, wo wir aktiv etwas beeinflussen können? Ich glaube nicht.
Mit einer gewissen Achtsamkeitspraxis können wir solche Gedanken bzw. Gedankenmuster erkennen und lernen loszulassen. Dies hilft uns dabei im Hier und Jetzt zu leben. Wir schaffen wieder Raum für neue Erlebnisse.
Liebe und Mitgefühl
Liebe und Mitgefühl helfen uns dabei nicht nur mit anderen, sondern auch mit uns freundlich und gelassen umzugehen. Meist sind wir ganz schön hart zu uns, wenn wir beispielsweise etwas nicht schaffen, das wir uns vorgenommen haben.
Wir kommen wieder direkt ins Grübeln und machen uns im schlimmsten Fall regelrecht nieder. Das was wir uns selbst in diesen Momenten sagen, würden wir nie jemanden anderem antun.
Versuch eine neue Haltung dir gegenüber einzunehmen und gehe mit dir liebevoll um. Sei mir dir selbst geduldig
"Someone will always be prettier.
Someone will always be smarter.
Someone will always be younger.
But they will never be you!"
Fazit
Nochmals kurz zusammengefasst. Achtsamkeit ist ein
- offenes
- nicht-urteilendes
- Gewahr Sein
- von Augenblick zu Augenblick
Es geht nicht darum vor der Wirklichkeit zu flüchten. Im Gegenteil, wenn wir uns auf das Hier und Jetzt besinnen, statt in der Vergangeheit zu Leben oder uns um die Zukunft zu sorgen, finden wir für unsere Probleme immer eine Lösung. Mit Hilfe des Loslassens, gewinnen wir wieder Energie zurück. Und ja, manchmal müssen wir neben Gedanken, auch Menschen loslassen, die uns nicht gut tun. Wir lernen uns mit Hilfe der Achtsamkeit selbst besser kennen und lernen uns selbst zu schätzen.
Achtsamkeit besteht nicht nur aus Achtsamkeitsübungen, sie ist eine komplette Lebenseinstellung, die uns dabei hilft uns auf das Wesentliche zu konzentrieren und so dazu beiträgt ein entspannteres Leben zu führen. Sie zeigt uns, dass wir Herr über unsere Gedanken sind und damit jede einzelne Entscheidung bewusst treffen. Wir richten somit unseren eigenen Kompass immer wieder bewusst aus.
Du hast die Wahl. Bewusst gestalten oder dich weiterhin von den Umständen deines Lebens führen zu lassen. Für was entscheidest du dich?